Ein Großteil der Angestellten in Deutschland arbeiten seit mehreren Wochen im Home Office. Angesichts der Corona-Krise haben viele Unternehmen ihre Mitarbeiter nach Hause geschickt, damit diese dort arbeiten können. Was zunächst als Notlösung fungierte, wird immer häufiger kritisch betrachtet. Ist das, was gerade passiert, wirklich produktives Home Office? Armin Lungwitz, bellmatec Geschäftsführer und Consultant zum mobilen Arbeiten und mobilen Lösungen bei vielen Unternehmen, beleuchtet die Effektivität der derzeitigen Situation.
Wann ist Home Office produktiv?
Armin Lungwitz: Wenn man im Home Office genauso oft unterbrochen wird wie im Büro, funktioniert Home Office und die Kommunikation passt. Das heißt, produktives Home Office bedingt effektive Kommunikation. Gut funktionierende Arbeit von Zuhause hat also viel damit zu tun, sich bewusst zu machen, dass man für Aktionen, die im Büro „von selbst“ passieren, auf einmal selbst verantwortlich ist. Das umfasst vor allem das Reden mit den Kollegen, Lärm abschotten, Kaffeepause planen usw.
Extrovertierte Mitarbeiter scheinen im Home Office effektiver, während introvertierte Leute Gefahr laufen, den Anschluss zu verlieren. Das liegt daran, dass extrovertierte Menschen aktiv die Kommunikation suchen und sich mitteilen. Im Gegensatz dazu, können introvertierte Menschen „vergessen“ werden, da sie selbst nicht so aktiv Kommunikation anstreben.
Damit dies nicht passiert, können Tools, wie beispielsweise MS Teams, dabei helfen, eine Kommunikationsstruktur mit den Kollegen festzulegen. Sie unterstützen bei der digitalen Interaktion im Team und machen damit Mitarbeiter produktiver. Für die Etablierung dieser Strukturen und der dafür notwendigen Tools wird in vielen Unternehmen Unterstützung benötigt, die wir als bellmatec liefern können.
Was bedeutet das für die derzeitige Situation?
Armin Lungwitz: Aktuell haben wir eine besondere Situation: Wir sprechen hier nur von der Situation, dass klassisches Arbeiten aus dem Büro nach Hause überführt wird – nicht vom idealen Home Office.
Derzeit sind Mitarbeiter Zuhause und versuchen dort zu arbeiten. Oftmals hat man das Gefühl, mehr Zeit zu haben. Das liegt vor allem daran, dass man nicht so leicht von anderen Personen unterbrochen werden kann. Die Frage, die sich stellt, ist, ob man dieses Gefühl nicht deshalb hat, weil keine oder weniger Kommunikation stattfindet. Wie oben bereits gesagt, ist produktives Home Office ohne effektive Kommunikationsstrukturen und -tools schwierig zu erreichen.
Wie schätzen Sie das aktuelle „Home Office“ in den Unternehmen ein?
Armin Lungwitz: Meiner Meinung nach gibt es derzeit drei Situationen in Unternehmen, was das Thema Home Office bzw. „Remote Work“ angeht:
- Firmen, die schon länger Home Office angeboten haben – oftmals für einen Teil der Belegschaft. Diese Unternehmen haben bereits etablierte Prozesse und Rahmenbedingungen für das Home Office. Auch technisch sind solche Firmen bereits gut auf die aktuelle Situation vorbereitet. Sie müssen sich jetzt der Herausforderung der Skalierbarkeit stellen, denn sie müssen adhoc für den Großteil der Belegschaft, die technischen Voraussetzungen für Home Office schaffen.
- Firmen, die „Remote Work“ in der Planung hatten. Es sollten mittelfristig Lösungen für Home Office evaluiert und eingeführt werden. Diese Bestrebungen mussten jetzt beschleunigt werden, wodurch andere geplante Vorgänge sich verzögern oder fallengelassen werden. Daraus folgt, dass die Prozesse und Voraussetzungen für produktives Home Office nicht vollständig vorliegen. Zum Beispiel könnte die Verbindung zur Unternehmensressourcen per VPN noch nicht etabliert sein. Oder Mobilgeräte wurden verteilt, aber noch nicht vollständig mit dem Unternehmen verbunden.
- Firmen, die kein Home Office in der Planung hatten. Diese müssen jetzt schnellstmöglich eine Lösung finden, wie die Mitarbeiter auf Ressourcen im Unternehmen zugreifen können und Kollaboration ermöglicht wird. Die Herausforderung ist hier, neben der technischen Machbarkeit, auch die Adoption und Schulung der Mitarbeiter.
Bei Unternehmen aus dem 2. und 3. Bereich wurden insbesondere die Themen Sicherheit und auch die psychologische Komponente von dauerhaftem Home Office nicht betrachtet. Mitarbeiter sind jetzt unproblematischer erreichbar. Das Umschalten von Arbeit zu Freizeit fällt vielen Arbeitnehmern schwer. Das muss auch dem Arbeitgeber klar sein und er muss hier gegensteuern.
Gerade, wenn die eingeführten Tools längerfristig verwendet werden sollen, muss man sich mit der korrekten Anwendung näher betrachten. Dazu muss auch die HR-Abteilung oder ein eventueller Betriebsrat abgeholt und in den Prozess integriert werden, um auch arbeitsrechtlich abgesichert zu sein.
Was sollten Arbeitgeber beachten?
Armin Lungwitz: Für die Arbeitgeber steht derzeit vor allem die technische Machbarkeit im Fokus. Die soziale Komponente wird oftmals vernachlässigt oder gar nicht hinterfragt. Das ist ein Fehler. Der Arbeitgeber sollte die Frage „Wie können meine Mitarbeiter (zusammen)arbeiten?“ vollständig klären.
Der Rahmen, also die Qualitätsziele, sollten vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Einzelne Themen wie Reaktionszeiten auf Anfragen, Arbeitszeit oder die Wahl des geeigneten Produktes sollten dem Team zum Teil mitüberlassen werden. In der Praxis bedeutet das, der Arbeitgeber gibt seine Erwartungshaltung vor, innerhalb des Teams findet zumindest in Teilen die explizite Organisation statt. Im Team wird dann beispielsweise intern kommuniziert, wie mit Vertreterregeln umgegangen wird, was zum Beispiel der Status „Nicht stören“ bedeutet und wie die Rahmenvorgaben erreicht werden können.
Und ganz wichtig: Sie vertrauen Ihren Mitarbeitern im Büro – wieso nicht auch im Home Office?
Was bedeutet das für die Zukunft?
Armin Lungwitz: Viele Unternehmen haben zwar über Home Office nachgedacht oder dieses für Teile der Belegschaft angeboten. Eine zwingende Notwendigkeit bestand bis jetzt aber nicht. Es wird spannend zu beobachten, wie sich das Thema Home Office in der Zukunft entwickelt und welche Unternehmen daran festhalten oder nicht.
In der gesellschaftlichen und politischen Debatte müssen sich Unternehmen die Frage gefallen lassen, wieso sie Home Office nicht schon früher genutzt haben. Sind es Bedenken in die Arbeitsleistung? Mangelndes Vertrauen? Diese Fragen stellen sich auch in Bezug auf die Zukunft des Home Office.
Arbeitgeber müssen sich im Klaren sein, wieso sie vor der Krise eventuelle Bedenken hat. Oftmals können klar formulierte Erwartungen und messbare Kriterien dabei helfen, diese Vorbehalte zu minimieren. Beispielsweise lässt sich Anwesenheit bei Remote-Arbeit schwer nachweisen – Erreichbarkeit ist aber schon messbar. Erreichte Ergebnisse können ebenfalls gemessen werden. Hier sollte man für die Zukunft ansetzen, um Home Office auch zukünftig als valide Option anzubieten.
Ich rechne außerdem damit, dass sich einiges im organisatorischen Bereich ändern wird. Büros werden wohl wieder kleiner werden. Dezentrales Arbeiten wird relevanter und auch Shared Office Space könnten als Alternative interessant werden.
Wichtig für die Zukunft wird es sein, eine Lösung zu finden, effektive Kommunikation zwischen Arbeitsgruppen und einzelnen Mitarbeitern zu gewährleisten, egal wo diese sich befinden. Dabei können Tools wie Microsoft Teams helfen.
Eine Herausforderung wird es aber sein, Home Office mit den Arbeitszeiten in Einklang zu bringen. Mitarbeiter sind jetzt einfacher und länger erreichbar. Das Umschalten von Arbeit zu Freizeit fällt vielen Arbeitnehmern schwer. Sie fühlen sich verantwortlich. Hier wird und kann aber erst die Zukunft zeigen, wie damit umgegangen wird.
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