Die Softwareentwicklung hat in den letzten Jahrzehnten einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Während klassische Modelle wie das Wasserfallmodell lange Zeit dominierten, setzen Unternehmen heute vermehrt auf agile Methoden, um flexibel und schnell auf Anforderungen reagieren zu können. Eine der bekanntesten agilen Vorgehensweisen ist Scrum. Wir erklären, wie Scrum in der Softwareentwicklung funktioniert, welche Phasen es gibt und wie es Teams vom Konzept bis zum erfolgreichen Marktstart unterstützt.
Was ist Scrum?
Scrum ist ein agiles Framework, das speziell für Projekte mit hohen Unsicherheiten oder sich schnell ändernden Anforderungen entwickelt wurde. Es basiert auf iterativer und inkrementeller Softwareentwicklung, bei der das Produkt schrittweise durch kurze Zyklen, sogenannte Sprints, weiterentwickelt wird.
Der Begriff „Scrum“ stammt aus dem Rugby-Sport, wo das Team beim Gedränge (Scrum) eng zusammenarbeitet, um gemeinsam Fortschritt zu erzielen. Ähnlich funktioniert es in der Softwareentwicklung: Teams arbeiten eng zusammen, passen sich schnell an Veränderungen an und liefern kontinuierlich Ergebnisse.
Die Rollen in Scrum
Im Scrum-Framework gibt es drei zentrale Rollen, die klar definierte Aufgaben und Verantwortlichkeiten haben:
- Product Owner: Der Product Owner ist dafür verantwortlich, die Produktvision zu definieren und zu kommunizieren. Er pflegt das Product Backlog, eine priorisierte Liste der Anforderungen, und entscheidet, welche Funktionen in den nächsten Sprints umgesetzt werden.
- Scrum Master: Der Scrum Master agiert als Coach und Moderator. Er sorgt dafür, dass das Scrum-Team effizient arbeitet, beseitigt Hindernisse (Impediments) und stellt sicher, dass die Scrum-Prinzipien eingehalten werden.
- Entwicklungsteam: Das Entwicklungsteam setzt die Anforderungen des Product Owners um. Es organisiert sich selbst, plant die Arbeit eigenständig und liefert am Ende eines jeden Sprints ein funktionierendes Inkrement der Software.
Die Scrum-Elemente im Überblick
Scrum basiert auf mehreren festen Elementen, die sicherstellen, dass das Framework effizient funktioniert:
- Product Backlog: Das Product Backlog ist eine priorisierte Liste der Anforderungen und Features, die das Endprodukt haben soll. Es wird kontinuierlich vom Product Owner gepflegt und angepasst.
- Sprint Backlog: Zu Beginn eines Sprints wählt das Team gemeinsam die Aufgaben aus dem Product Backlog aus, die innerhalb des Sprints bearbeitet werden sollen. Diese Aufgaben bilden das Sprint Backlog.
- Sprint: Ein Sprint ist ein klar definierter Arbeitszyklus von 1 bis 4 Wochen, in dem ein konkretes Ziel verfolgt und ein funktionierendes Softwareinkrement erstellt wird.
- Daily Scrum: Tägliche 15-minütige Meetings, bei denen das Entwicklungsteam den aktuellen Stand bespricht und die nächsten Schritte plant.
- Sprint Review: Am Ende des Sprints wird das fertige Inkrement präsentiert und Feedback von den Stakeholdern eingeholt.
- Sprint Retrospektive: Ein Rückblick auf den vergangenen Sprint, bei dem das Team reflektiert, was gut lief und was verbessert werden kann.
Der Scrum-Prozess: Vom Konzept bis zum Marktstart
Der Weg von der ersten Idee bis zum erfolgreichen Marktstart eines Softwareprodukts läuft in Scrum in mehreren Phasen ab:
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Konzept und Vision
Am Anfang steht die Produktvision, die den Grundstein für das gesamte Projekt legt. Der Product Owner arbeitet eng mit den Stakeholdern zusammen, um eine klare Vorstellung davon zu entwickeln, welche Ziele das Produkt verfolgt und welche Probleme es lösen soll. Dabei werden zentrale Fragen geklärt:
- Wer sind die Zielgruppen? Welche Nutzer sollen von dem Produkt profitieren?
- Welchen Mehrwert bietet das Produkt? Welche konkreten Probleme oder Herausforderungen löst es?
- Was ist die Kernfunktionalität? Welche Features müssen von Anfang an enthalten sein, um die Zielgruppe zu erreichen?
Diese Fragen werden in Workshops oder Kickoff-Meetings diskutiert, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis der Vision haben.
Anschließend erstellt der Product Owner eine erste Version des Product Backlogs, die alle bekannten Anforderungen in Form von User Stories beinhaltet. Diese User Stories beschreiben die Funktionen aus Sicht der Nutzer und helfen dem Entwicklungsteam, die Arbeit besser zu verstehen.
Ein Beispiel für eine User Story könnte lauten: „Als Nutzer möchte ich mich mit meiner E-Mail-Adresse registrieren, um Zugriff auf meine Daten zu erhalten.“
Das Product Backlog ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht final. Es bleibt ein lebendes Dokument, das während des gesamten Projekts angepasst und erweitert wird. Prioritäten können sich ändern, und neue Erkenntnisse fließen kontinuierlich ein. Die Produktvision dient jedoch als Leitstern, um das Projektziel im Auge zu behalten und Entscheidungen zu treffen.
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Planung des ersten Sprints
Die Sprint-Planung ist der Startpunkt für die eigentliche Entwicklungsarbeit. Sie markiert den Beginn eines jeden Sprints und stellt sicher, dass das Team ein klares Ziel und einen konkreten Plan hat.
Die Planung erfolgt in zwei Teilen:
- Was soll umgesetzt werden? Gemeinsam mit dem Product Owner wählt das Scrum-Team die höchst priorisierten User Stories aus dem Product Backlog aus. Diese Aufgaben werden so lange besprochen und konkretisiert, bis alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis haben. Der Product Owner erklärt die Akzeptanzkriterien jeder Story, also die Bedingungen, unter denen die Aufgabe als erledigt gilt.
- Wie wird die Umsetzung erfolgen? Das Entwicklungsteam plant, wie die ausgewählten User Stories technisch umgesetzt werden. Hierbei wird die Arbeit in kleinere, schätzbare Tasks Diese Tasks können beispielsweise die Entwicklung einzelner Funktionen, das Schreiben von Tests oder das Erstellen von Dokumentationen umfassen.
Am Ende der Sprint-Planung stehen zwei Dinge fest:
- Das Sprint-Ziel, das beschreibt, was im Sprint erreicht werden soll.
- Das Sprint Backlog, das alle Aufgaben enthält, die notwendig sind, um das Ziel zu erreichen.
Die Sprint-Planung ist von zentraler Bedeutung, da sie die Basis für den gesamten Sprint legt. Sie sorgt dafür, dass das Team fokussiert und zielgerichtet arbeiten kann, ohne dabei ständig nachjustieren zu müssen. Gleichzeitig bleibt das Team flexibel: Neue Erkenntnisse während des Sprints können dazu führen, dass Aufgaben angepasst oder umpriorisiert werden müssen.
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Umsetzung und Entwicklung
Die Umsetzung und Entwicklung ist der Kern des Sprints und bildet die Phase, in der das eigentliche Produktinkrement erstellt wird. Das Entwicklungsteam arbeitet dabei selbstorganisiert und eigenverantwortlich an den Aufgaben aus dem Sprint Backlog. Der Fokus liegt darauf, die vereinbarten User Stories umzusetzen und das Sprint-Ziel zu erreichen.
Daily Scrum: Tägliche kurze Meetings von maximal 15 Minuten helfen dem Team, den aktuellen Stand zu überprüfen und die nächsten Schritte zu planen. Dabei beantwortet jedes Teammitglied drei Fragen:
- Was habe ich seit dem letzten Daily Scrum erledigt?
- Was werde ich bis zum nächsten Daily Scrum erledigen?
- Gibt es Hindernisse oder Blockaden, die meine Arbeit behindern?
Der Scrum Master unterstützt das Team dabei, Hindernisse (Impediments) zu beseitigen und sorgt dafür, dass der Fokus auf die wichtigsten Aufgaben gerichtet bleibt.
Arbeitsschritte und Tools: Die Umsetzung umfasst verschiedene Schritte wie das Programmieren, Testen und Integrieren von Features. Oft kommen dabei Tools wie JIRA, Trello oder GitLab zum Einsatz, die Transparenz und Nachverfolgbarkeit der Aufgaben sicherstellen.
Qualitätskontrolle: Parallel zur Entwicklung findet kontinuierliches Testen statt. Dazu gehören Unit-Tests, Integrationstests und gegebenenfalls automatisierte Tests, um sicherzustellen, dass das Produktinkrement die gewünschte Qualität aufweist. Code-Reviews und Pair-Programming sind weitere Methoden, um Fehler frühzeitig zu erkennen.
Am Ende der Umsetzungsphase steht ein funktionierendes Softwareinkrement, das den Akzeptanzkriterien des Product Owners entspricht. Dieses Inkrement wird in den kommenden Phasen überprüft und gegebenenfalls verbessert.
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Feedback und Verbesserung
Der Schritt Feedback und Verbesserung ist ein entscheidender Bestandteil von Scrum, um sicherzustellen, dass das Team kontinuierlich lernt und das Produkt iterativ optimiert wird. Diese Phase gliedert sich in zwei zentrale Ereignisse:
Sprint Review: Am Ende jedes Sprints findet das Sprint Review statt. Hier präsentiert das Entwicklungsteam das fertige Produktinkrement den Stakeholdern. Das Ziel des Sprint Reviews ist es, Feedback zu erhalten und sicherzustellen, dass das Produkt die Bedürfnisse der Nutzer erfüllt. Wichtige Punkte des Sprint Reviews sind:
- Demonstration des Inkrements: Das Team zeigt, welche Features und Funktionen innerhalb des Sprints umgesetzt wurden.
- Feedback einholen: Die Stakeholder haben die Gelegenheit, Fragen zu stellen, Anregungen zu geben und Verbesserungsvorschläge zu machen.
- Anpassung des Product Backlogs: Das Feedback fließt direkt in das Product Backlog ein, wodurch neue Anforderungen und Änderungen für den nächsten Sprint definiert werden.
Ein erfolgreicher Sprint Review verbessert nicht nur das Produkt, sondern stärkt auch die Beziehung zu den Stakeholdern durch Transparenz und aktive Zusammenarbeit.
Sprint Retrospektive: Die Sprint Retrospektive schließt den Sprint ab und konzentriert sich auf das Team und den Entwicklungsprozess. Das Ziel ist es, die Zusammenarbeit und die Arbeitsweise kontinuierlich zu verbessern. Die wichtigsten Punkte sind:
- Rückblick auf den Sprint: Was lief gut? Welche Ziele wurden erreicht?
- Analyse von Problemen: Was hat den Fortschritt behindert? Welche Hindernisse sind aufgetreten?
- Verbesserungsvorschläge: Gemeinsam erarbeitet das Team konkrete Maßnahmen zur Optimierung der Zusammenarbeit und der Prozesse.
Die Retrospektive schafft einen Raum für offene Kommunikation und Reflexion. Sie fördert die Teamdynamik und sorgt dafür, dass jedes Teammitglied gehört wird. Durch die kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsweise steigt langfristig die Effizienz und Zufriedenheit im Team.
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Kontinuierliche Weiterentwicklung
Die kontinuierliche Weiterentwicklung ist ein zentrales Prinzip von Scrum. Jedes abgeschlossene Sprint-Inkrement stellt eine funktionierende Version des Produkts dar, die erweitert und verbessert werden kann.
Durch die kurzen, iterativen Sprints kann das Entwicklungsteam schnell auf neue Anforderungen, Feedback oder Marktveränderungen reagieren. Das Product Backlog bleibt dabei stets flexibel: Neue Erkenntnisse, die während der Sprint Reviews oder aus Kundenfeedback gewonnen werden, fließen direkt ein und werden priorisiert.
Das Scrum-Team arbeitet eng mit dem Product Owner zusammen, um sicherzustellen, dass jedes neue Feature den größten Mehrwert bietet. Dabei entstehen mehrere Vorteile:
- Flexibilität: Durch die Anpassung des Backlogs können neue Ideen oder geänderte Prioritäten effizient umgesetzt werden.
- Weniger Risiken: Probleme oder Fehlentwicklungen können frühzeitig erkannt und behoben werden.
- Kundenzentrierung: Der Fokus bleibt immer auf den Bedürfnissen der Endnutzer, die durch kontinuierliches Feedback einbezogen werden.
Somit entwickelt sich das Produkt Schritt für Schritt weiter, bis es alle Anforderungen erfüllt und marktreif ist.
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Marktstart
Der Marktstart ist ein entscheidender Meilenstein in der Softwareentwicklung. In Scrum erfolgt dieser oft mit der Bereitstellung eines Minimum Viable Product (MVP) – einer funktionsfähigen ersten Version, die den Kernnutzen des Produkts abdeckt und bereits einen Mehrwert für die Nutzer bietet.
Ein MVP ermöglicht es, das Produkt schnell auf den Markt zu bringen und reales Nutzerfeedback einzuholen. Diese frühzeitige Validierung hilft dabei, das Produkt gezielt weiterzuentwickeln und den Marktbedürfnissen anzupassen. Wichtige Schritte beim Marktstart sind:
- Testen und Stabilisieren: Vor dem Release wird das Produkt umfassend getestet, um Fehler zu identifizieren und zu beheben.
- Nutzerfeedback einholen: Nach dem Marktstart wird aktives Feedback der Nutzer gesammelt, um Verbesserungspotenziale zu erkennen.
- Iteration und Optimierung: Auf Basis des Nutzerfeedbacks wird das Product Backlog angepasst und in den nächsten Sprints weiterentwickelt.
- Skalierung: Wenn das MVP erfolgreich ist, können zusätzliche Features eingeführt und die Produktreichweite erweitert werden.
Der Scrum-Prozess endet nicht mit dem Marktstart. Vielmehr ist der Marktstart der Beginn einer weiteren Phase kontinuierlicher Verbesserung und Optimierung. Das Feedback der Nutzer dient als Grundlage für neue Sprints, sodass das Produkt stetig verbessert und an die Bedürfnisse des Marktes angepasst werden kann.
Vorteile von Scrum in der Softwareentwicklung
- Flexibilität: Scrum ermöglicht schnelle Anpassungen an neue Anforderungen oder Feedback.
- Frühzeitige Ergebnisse: Durch die iterativen Sprints entstehen bereits früh nutzbare Softwareteile.
- Verbesserte Kommunikation: Die täglichen Meetings und Reviews sorgen für klare Kommunikation innerhalb des Teams und mit Stakeholdern.
- Kundenzentrierung: Der Fokus liegt auf dem Kunden und seinen Bedürfnissen, die kontinuierlich in die Entwicklung einfließen.
Mit Scrum können wir als Team flexibel auf neue Anforderungen reagieren, den Entwicklungsprozess transparenter gestalten und die Qualität unserer Software kontinuierlich verbessern. Die iterative Arbeitsweise sorgt dafür, dass wir schnell erste Ergebnisse liefern und gleichzeitig den Rückhalt der Stakeholder stärken.
Joel Zink, Product Owner und Scrum Master, bellmatec
Herausforderungen und Lösungsansätze
Scrum bietet viele Vorteile, bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich:
- Unklare Anforderungen: Eine kontinuierliche Pflege des Product Backlogs durch den Product Owner ist essenziell.
- Disziplin im Team: Daily Scrums und Retrospektiven erfordern Disziplin und Engagement.
- Skalierung: In großen Projekten kann die Skalierung von Scrum komplex werden. Frameworks wie LeSS oder SAFe bieten hier Lösungen.
Flexibel und kundenorientiert mit Scrum
Scrum ist ein bewährtes Framework, das Softwareteams hilft, flexibel, effizient und kundenorientiert zu arbeiten. Durch die iterative Vorgehensweise lassen sich Risiken minimieren und die Software kontinuierlich verbessern. Vom ersten Konzept bis zum Marktstart begleitet Scrum Teams Schritt für Schritt und stellt sicher, dass am Ende ein qualitativ hochwertiges Produkt entsteht.